Die Wasserscheide
ein prozesshaftes Kunstprojekt
Die Wasserscheide – ein Kunstprojekt, das sich dem „Gehen“ als ästhetisch forschendem Prozess widmet. Das Projekt wurde in Gemeinschaft mit Andreas Bressmer www.bressmer.eu entwickelt und durchgeführt.
Die europäische Wasserscheide trennt das abfließende Oberflächenwasser in die Zuläufe zum Rhein von denen zur Donau. Beim Wandern auf dieser kaum wahrnehmbaren und scheinbar nur geologisch relevanten Linie in der Landschaft ergab sich jedoch das Gefühl einer politischen Durchtrennung des Landes: eine Teilung des Lebensraumes in einem dem Rhein zugehörigen und einem mit der Donau verbundenen. Es entstand beim Gehen ein subjektives Erleben der Landschaft, verbunden mit dem Erinnern historischer und gegenwärtiger Bedeutungszusammenhänge.
Die Formation der Wasserscheiden entstand erdgeschichtlich aufgrund von plattentektonischen Verschiebungen. Wasserscheiden sind die höchsten Bereiche eines Gebietes nach dem Auftauchen aus den letzten Meeren. Neben der Europäischen Wasserscheide, die von Gibraltar bis kurz vor Moskau reicht, gibt es zahlreiche Nebenwasserscheiden, die die Zuläufe zu Flusssystemen trennen.
In der Vergangenheit wurden Wasserscheiden oftmals als Routen für große Wanderungen, wie Feldzüge und Völkerwanderungen benützt. Auf dieser Linie waren weniger starke Höhenunterschiede zu überwinden, und das Gelände wurde durch vermehrte Trockenheit begehbarer.
Unsere gemeinsamen Wanderungen auf und entlang der Wasserscheide begannen im Frühjahr 2020 auf der Schwäbischen Alb:
Die geologische Linie verläuft hier kaum 20 km entfernt von unserem Wohnort. Dies kam uns zum damaligen Zeitpunkt sehr gelegen, da wir aufgrund der Pandemie in unserem Bewegungsradius sehr eingeschränkt waren. Wir hatten uns eine Strecke von Münsingen bis Böhmenkirchen vorgenommen, begannen sie in der Mitte bei Deggingen. Andreas übertrug den Verlauf der Wasserscheide von geologischen Karten auf topografische, die uns wichtige Grundlage zur Orientierung wurden. Wir unternahmen in der Folge 19 Wanderungen, bei denen jeder von uns fotografierte, wir gemeinsam Fundstücke sammelten und Gedanken über die Wasserscheide austauschten. Sie wurde für uns zu einer Art Körper, den wir allmählich erspürten, der plastisch in der Landschaft lag und sich durch diese schlängelte. Andreas zeichnete gegangene Wege in die Karten ein, neue Wege wurden diskutiert, manchmal Wege und Karten verloren.
Die Lektüre zweier Romane, in deren Titel der Begriff „Wasserscheide“ Verwendung findet, ließ mich die Schwäbische Alb unter literarischer Beeinflussung erwandern. Der Roman „Jenseits der Wasserscheide“ beschreibt den Siedlerzug der Amish People von der Ost- zur Westküste Nordamerikas als Schauplatz menschlicher Dramen. Meine Wahrnehmung der Alblandschaft und die dort entstandenen Fotosequenzen wurden somit von literarischen Bildern beeinflusst, die neben menschlicher Tragik auch Wildwestromantik und Fernweh beinhalten. 19 Fotosequenzen, die ich zu einer gleichen Anzahl von Büchern kombinierte oder zusammengefasst in einer Edition herausgab, bilden eine eigene Erzählung. Sie ist erstaunlicher Weise lokalisiert auf der Schwäbischen Alb.
Entlang der Wasserscheide — eine Songline
Heft, 24 Seiten, 38 x 34,5 cm
2020
Offset-Druck, Auflage 120