Vom Wandervogel zum Flaneur
– ein Projekt für Paris
„Vom Wandervogel zum Flaneur“ – ein Projekt für Paris,
das den Wandervogel mit der Idee des Flaneurs verbindet. Während der Wanderer die Einsamkeit und die Natur sucht, taucht der Flaneur ein in die Menschenmenge der Großstädte. Beide wählen die Fortbewegung „zu Fuß“ und beide versuchen aus konventionellen Zwängen auszubrechen, um für sich selbst zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.
Die historische Wandervogelbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts war eine Antwort auf die geistigen und sozialen Umbrüche zur Zeit der Hochindustrialisierung. Das Wandern in der Natur sollte den Geist wieder heil werden lassen und man hoffte über Naturerkenntnis zur Selbsterkenntnis zu gelangen.
Auch der Flaneur verweigerte sich den gesellschaftlichen Erwartungen seiner Epoche. Keiner offensichtlichen Erwerbstätigkeit nachgehend, streift der Flaneur ziellos und einsam in der Menschenmenge der Stadt umher, lässt sich treiben. Er beobachtet und reflektiert, er sammelt Stoff für Erzählungen.
Wie der Flaneur ist auch der Wandervogel literarisch unterwegs, genauer gesagt musikalisch, denn er hat ein Liederbuch und eine Wandervogel-Laute dabei, die ihn musikalisch die Tiefe und Weite seiner Lebenswelt ausloten lassen. Hierbei ist er ein soziales Wesen, also in der Gruppe unterwegs, was ihn wiederum vom einsamen Einzelgänger Flaneur unterscheidet.
Für mein künstlerisches Projekt in Paris will ich beides sein, sowohl Wanderer als auch Flaneur. Als Wandervogel möchte ich die Musik thematisieren, als Flaneur meine Umgebung beobachten und „dichten“, verdichten. Natürlich immer mit der Hilfe bildgebender fotografischer Mittel.
Besonders wird mir die Musiktradition zweier Nachbarländer deutlich. Die Liedkultur des Wandervogellebens lässt tief in die deutsche Geschichte blicken und die französische Tradition des Chanson ist eng mit dem historischen sowie gegenwärtigen Lebensgefühl in Paris verknüpft.
Das Eintauchen in die Tradition deutscher und französischer Lieder führt mich zu künstlerischen Arbeiten, die charakteristische Elemente beider Kulturen herausarbeiten.
Hier gezeigte Arbeiten können als erste Arbeitsphase gesehen werden, als eine geistige und künstlerische Vorarbeit für eine umfassende praktische Aufgabe vor Ort.
Mit Laute und Metroplan
Mlle Puget
Zwei Liederbücher werden Fotografisch kombiniert: Das prächtige Album der Mademoiselle Puget von 1844 und ein einfaches Liederbuch der französischen Armee.
Loisa Puget (1810-1889) war Komponistin und eine der beliebtesten französischen Liedermacherinnen der 1830er Jahre. Ihre Balladen und Romanzen über das bürgerliche oder bäuerliche Leben singt sie in den Salons der Wohlhabenden. Im Paris dieser Zeit werden sie zu populären Liedern, die in den Alltag der Menschen einzogen.
„Mlle Puget“, 3-teilige Fotoabeit, C-Print, je 40×60 cm
sentiments
Nochmals werden zwei Bücher kombiniert. Diesmal gehen Illustrationen des Liederbuchs der Mlle Puget eine Verbindung mit fotografischen Reportagen über Serge Gainsbourg ein.
Der französische Chansonnier Gainsbourg (1928-1991) war einer der einflussreichsten Singer-Songwriter seiner Zeit, der auch die französische Popmusik beeinflusste.
„sentiments“, 9-teilige Fotoarbeit, C-Print, je 24×30 cm
Die Blaue Blume
Die „Blaue Blume“, die zum erklärten Symbol der Jugendbewegung Wandervogel wurde, bezieht sich auf die Epoche der Romantik. Bereits für Novalis und Joseph von Eichendorf war sie ein Bild für Sehnsucht und dem Streben nach dem Unendlichen.
Beim Wandervogel verweist die „Blaue Blume“ auf Naturverbundenheit, Wanderschaft und die Sehnsucht nach der Ferne.
Fotos historischer Bücher über das Wandervogelleben werden in dieser künstlerischen Arbeit zu einem Geschichte erzählenden Ensemble kombiniert.
Die unpolitische Haltung der ersten Phase der Jugendbewegung wurde Stück für Stück von völkisch nationalen Ideen verdrängt. „Bündnische Jugend“ und neue Leitbilder lösten die ungezwungene Heiterkeit des ursprünglichen Wandervogels ab.
„Die Blaue Blume“, 8-teilige Fotoarbeit, C-Print, 20×30 cm bis 40×60 cm